Seite 1043 der Bibel
Jeremia 12,1

„Herr, wenn ich dich anklagte, dann würdest du am Ende ja doch Recht behalten. Trotzdem will ich mit dir über deine Gerechtigkeit reden…“

Wir sind mit Gott im Gerichtssaal. Aber ist Gott in dieser „Szene“ der Richter, oder vielmehr der Angeklagte? Jeremia könnte Gott anklagen, aber er tut es nicht. Er fühlt sich ungerecht behandelt, versteht Gottes Handeln nicht und trotzdem wirft er Gott nicht vor einen Fehler gemacht zu haben. Das tun wir normalerweise ja auch nicht, oder? Zumindest nicht laut. Vielleicht nicht einmal bewusst… Aber manchmal verborgen in unserem Innern? Wir klagen Gott an.
Weil wir nicht verstehen.
Weil wir uns ungerecht behandelt fühlen.
Wir gehen auf Distanz und werfen Gott vor, einen Fehler gemacht zu haben: Wieso lässt du zu, dass XY das Lob bekommt, das eigentlich mir zustehen würde? Wieso erlebe ich dich nicht tiefer, wenn ich doch so lebe, wie du es willst? Wieso ist diese Beziehung gescheitert? Wieso ist XY so krank? Wieso geht es anderen besser, die nichts von dir wissen wollen?

Jeremia stellt die gleichen Fragen: „Warum geht es den Menschen, die dich missachten, so gut? Warum leben alle, die dir untreu sind, in Ruhe und Frieden?“ Das war sein Dilemma, seine Frage, sein Schmerzpunkt. Aber er klagt Gott nicht an. Weder laut noch leise. „Herr, wenn ich dich anklagte, dann würdest du am Ende ja doch recht behalten.“ Er weiss, wenn er Gott, den grossen und gerechten Richter anklagen, auf die Anklagebank setzen würde, würde er den kürzeren ziehen. Denn Gott wäre immer noch im Recht. Am Ende würde unter dem Strich klar werden, dass Gott keinen Fehler gemacht hat. Dass er nicht „schuldig“ ist.
Nun kann man das ganz unterschiedlich verstehen:

  1. Intellektuell: Weil Gott allwissend, allmächtig, all-was-auch-immer ist, kann er gar nicht im Unrecht sein. Deshalb hat er immer Recht. Ich muss gar nicht diskutieren.
  2. Fatalistisch („es ist halt so“): Gott sitzt am längeren Hebel. Ganz egal, ob es wirklich gerecht ist (und eigentlich bin ich ja schon im Recht), am Schluss gewinnt er. Er ist stärker. Er ist Gott. Er kann tun und lassen, was er will. Ich bin ihm ausgeliefert…

Beide Haltungen bleiben auf Distanz. Jeremia tut das aber nicht. Es gibt eine dritte Alternative: Statt auf Abstand zu gehen, seine Wunden zu lecken, zu schmollen oder zu philosophieren, macht er einen Schritt. Einen Schritt auf Gott zu: „Trotzdem will ich mit dir über deine Gerechtigkeit reden.“ Auch wenn es stimmen mag, dass Gott am längeren Hebel sitzt. Auch wenn es stimmt (und Jeremia sich das auch bewusst ist), dass Gott keine Fehler macht. Trotzdem will er mit Gott darüber reden. Nicht anklagen. Reden. Wie mit einem Freund. Wie mit einem guten Vater. Jeremia hat kein kühles Verhältnis zu Gott, sondern lebt eine wirkliche Beziehung. In guten Beziehungen sind nicht alle Fragen geklärt. In guten Beziehungen muss man den Freund, den Vater, den Partner nicht vollständig verstehen. Aber man sucht die Nähe und Intimität. Erst recht will man über die offenen Fragen reden. Erst recht will man besser verstehen. Weil es in erster Linie nicht um die Sache selbst geht, sondern um die Beziehung. Es geht nicht um Antworten. Es geht nicht um Recht und Unrecht. Es geht um Gott. Und ihm geht es um dich!

CALL

Wo hast du Fragen? Wo fühlst du dich ungerecht behandelt von Gott? Wo bist du enttäuscht?
Vielleicht musst du zuerst deine intellektuellen Barrieren loslassen, um überhaupt an diese Empfindungen ranzukommen. Vielleicht muss dir zuerst bewusst werden, dass du ein fatalistisches Bild von Gott hast („es ist halt so“), bevor du die wirklichen Fragen zulassen kannst. Vielleicht tut das weh…
Nimm dir Zeit und lass Gott selbst, lass den Heiligen Geist da ran. Er weiss, was zu tun ist. Und dann rede mit Gott. Keine frommen Gebete und keine hitzigen Anklagen. Rede mit ihm darüber. Über die Punkte, die du nicht verstehst. Ihr sitzt nicht im Gerichtssaal, sondern auf einer Parkbank. Zusammen. Und besprecht es.

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