Wie treiben wir heute Theologie (auch in evangelikalen Kreisen)?
Die Frage ist hier nicht unangebracht ob ich sie betreibe oder sie mich treibt. Das Problem der gesetzlichen Irrlehren war nicht nur, dass sie gesetzlich waren und so das Evangelium verkannten, sondern sie waren wie bereits erwähnt auch hohl, unnütz. 1. Kor 8,1b spricht davon, dass die Erkenntnis arrogant macht, die Liebe aber erbaut.
Hier wird es gegen-einander ausgespielt, denn der Erkenntnis fehlt die Liebe und somit die eigentliche Füllung. Die Bibel gibt hier das Prädikat „kraftlos“ (1. Kor 4,19; 2. Tim 3,5). In den Pasto-ralbriefen ist oftmals von Streitfragen die Rede, die nichts bringen und nicht von Belang sind (1. Tim 6,4; 2. Tim 2,23; Tit 3,9). Ihnen fehlt der Bezug zum Wesentlichen und zum Leben und dienen lediglich dazu, dass man diskutieren und zeigen kann, dass man recht hat. Dies auf Kosten der Liebe und des Nächsten und somit der gesunden Lehre.
Angesichts dessen frage ich mich, ob wir, die wir Theologie studieren, nicht oft auch dieser Art der Schein-Frömmigkeit verfallen. Man könnte jetzt einwenden, dass man sich mit den falschen Ansichten auseinandersetzen muss und dass Paulus dies auch ge-tan hatte. Ja, gerade darin bewundere ich ihn, wie er in den Pastoralbriefen mit diesen Lehren umgeht. Er tritt nicht in die Diskussion über die Geschlechtsregister ein, obwohl er als Pharisäer sicher etwas zu sagen gehabt hätte. Nein, er würdigt es kaum eines Bli-ckes und tut es einfach als Blödsinn ab. Er wendet sich den wirklich gefährlichen Leh-ren nur so weit wie nötig zu und steigt nicht in einen sinnlosen Disput ein. Er behält den Blick für das, was wirklich mit dem Reich Gottes und somit mit der gesunden Lehre zu tun hat.
Ich unterstelle uns, dass wir diesen Blick oft verlieren. Wir diskutieren um der Diskussion, oder besser noch um unsretwillen. Wir behandeln Themen, die nichts mit der Ausbreitung des Reiches Gottes zu tun haben und vernachlässigen darüber Themen, die die eusebeia, das Wesentliche betreffen. In wie fern haben wir die gesunde Balance, die Paulus hatte oder sind wir vor lauter bekämpfen der Irrlehren und falschen theologi-schen Richtungen in deren Fahrwasser der Kraftlosigkeit geraten? Verbirgt sich unser (griechischer) Bruch zwischen Kopf und Herz hinter einer möchtegern-frommen Fas-sade, dass wir deshalb gar nicht mehr merken wie sehr wir auf dem Holzweg sind?
Ich glaube, dass wir uns wieder auf das Eigentliche besinnen müssen, so dass unsere Lehre nicht das Ziel aus den Augen verliert und Theologie somit zum Selbstzweck wird. Liebe und daraus Bau und Erbauung der Gemeinde in all ihren Formen muss die treibende Kraft und das Ziel unserer Lehre sein und nicht Diskussionen die Spaltung hervorrufen (Tit 3,10). Alles andere schwebt in der Nichtigkeit der blossen Spekulationen und Ge-danken. Es geht auch nicht um pure Abgrenzung in Lehrfragen, sondern wir brauchen die gesunde Alternative. Wir dürfen nicht zulassen, dass, auch in evangelikalen Kreisen, die Sonne ihre Strahlen und ihre Kraft verliert und durch „Nebensächlichkeiten“ ausge-höhlt wird.
2. Tim 3,10f.:“Du aber bist meiner Lehre gefolgt, meinem Lebenswandel, meinem Vorsatz, meinem Glauben, meiner Langmut, meiner Liebe, meinem Ausharren, 11 mei-nen Verfolgungen, meinen Leiden,…“
(Verfasst am 16.3.01 von Michael Berra – ein Auszug aus einer Arbeit zum Thema: “Gesunde Lehre in den Pastoralbriefen”)